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PRESSE-ARCHIV 2005


Unter dieser Rubrik finden Sie eine Auflistung von Zeitungsberichten, Artikeln in Magazinen oder Briefwechseln. Wenn Sie Fragen zu den Berichten haben, so setzen Sie sich bitte unter "Kontakt" mit uns in Verbindung.

 

 Artikel im SZ Magazin Nr. 35/2004 


    

Zu nah am Wasser gebaut

An dem Dorf Darching fahren täglich 100.000 Autos vorbei - das ist schlimm. Doch unter Darching fließt das Trinkwasser für München zusammen. Das ist das eigentliche Problem.


Bericht von Rainer Stadler - Fotos von Bert Heinzelmeier

   
Autobahn A 8 Richtung München

Das Großstadtkind als solches, man weiß das, lebt heute völlig entfremdet von seinen natürlichen Grundlagen: Strom kommt aus der Steckdose, Milch von der Milka-Kuh, Wasser aus dem Wasser-hahn, damit hat sich der Fall. Insofern gebührt den Stadtwerken München Lob für die Broschüre www. M-Wasser, die Münchens Schüler über das "kostbarste Element unserer Erde " aufklärt. Das Münchner Trinkwasser heißt also M-Wasser, lernen die Kinder. Die Stadtwerke leiten es " aus dem Mangfall- und Loisachtal in unsere Stadt. Diese Wassergewinnungsgebiete liegen in streng über-wachten Wasse-schutzgebieten mit unberührter Natur." Leider fehlt in dem Text ein Hinweis: Mitten durch eines dieser Wasserschutzge-biete mit unberührter Natur führt die sechsspurige Autobahn München-Salzburg. Vielleicht wollten die Stadtwerke die Kinder nur nicht verwirren. Es gibt nämlich auch Erwachsene, die fragen, wie Autobahn und Wasserschutz zusammengehen. Vor allem in Darching, einem 800-Einwohner-Dorf dreißig Kilometer südlich von München.
 
Unter dem Dorf, genauer gesagt unter den Ortsteilen Mittter- und Oberdarching, fließen die Grundwasserströme zusammen, die heute dreißig Prozent des Wasserbedarfs von 1,4 Millionen Münchnern decken. Um dieses M-Wasser zu schützen, erwirkten die Stadt-werke vor vier Jahren eine Verordnung, die viele Darchinger als Frei-heitsberaubung und Rückfall in das Feudalsystem empfinden. Sie enthält zwölf Seiten Verbote für das Dorf im Landkreis Miesbach. Ausweisung neuer Baugebiete: verboten. Großveranstaltungen außerhalb von Sportanlagen: verboten. Lagerung eines Benzinka-nisters in der Garage: verboten. In einem Ort, der seit Jahrhunder-ten von der Landwirtschaft geprägt wird, dürfen Motorsägen oder Rasenmäher nicht betankt, Traktoren oder Mähdrescher nicht gewa-schen werden. Auch ihren Friedhof sollen die Mitterdarchinger nicht mehr erweitern. Bei Zuwiderhandlungen droht eine " Geldbuße bis zu hunderttausend Deutsche Mark".

Duffner   Transparent in Mitterdarching


Am Ortseingang von Mitterdarching, hinter dem "Musik-Pub Cock-roach" und der Fahrschule "Let's Drive", lebt die Famile Duffner. Die Auflagen sind für sie noch heftiger als im übrigen Ort, weil ihr Haus etwas näher an den Wasserförderanlagen der Stadt München steht. Streng genommen dürften die Duffners nicht mal einen Mülleimer in der Küche haben. Die Verordnung untersagt in dieser Zone, Abfall "zu behandeln, zu lagern oder abzulagern ". Elisabeth Duffner fürchtet, die Stadtwerke München könnten demnächst Leute vorbeischicken, um sie zu kontrollieren.

Hinter dem Haus der Duffners liegt ein Feld. Es gehört Josef Huber. Kürzlich wollte er darauf einen Schuppen errichten. Er ging zum Landratsamt, wurde zum Wasserwirtschaftsamt geschickt und lan-dete bei den Stadtwerken München. Dort hieß es, der Schuppen müsse einen Betonboden haben, zwanzig Zentimeter dick. Seinen Traktor dürfe er aber nicht hineinstellen. Es könne ja Öl auslaufen und das Grundwasser vergiften. Deshalb darf der Landwirt seine Felder auch nicht mehr künstlich düngen. Die Felder reichen bis an die A8 München-Salzburg, eine der meist befahrenen Fernstraßen Deutschlands, auf der pro Tag fast 100 000 Fahrzeuge Darching pa-ssieren. "Warum gilt die Verordnung für mich, aber nicht für die Autobahn?", fragt sich Huber.

Weil die Autobahn keinerlei Belastung für das M-Wasser darstellt, behauptet Rainer List, der zuständige Betriebsleiter der Stadtwerke München. Das liege an der Fließrichtung des Grundwassers: Es ent-stammt einem Gebiet um den Taubenberg, einige Kilometer vor Dar-ching, und strömt dann unter dem Dorf hindurch, in vierzig Meter Tiefe. Am Dorfende wird es von einem Querstollen aufgefangen, der sich über 1,4 Kilometer erstreckt. Über diesem Stollen verläuft zwar die Autobahn, aber passieren könne da nichts. Die Abwässer würden "über eine wasserdichte Wanne unterhalb der Fahrbahn " aufgefangen und aus dem Schutzgebiet abgeleitet. Sollten doch einmal "einige Spritzer über den Fahrbahnrand" geraten, auch nicht tragisch: Die ersten zwei Meter des Untergrunds seien so dicht, "dass die meisten Schadstoffe herausgefiltert werden". Der kleine Rest werde wegen der Hangneigung und der Beschaffenheit des Bodens am Sammelstollen der Münchner Stadtwerke "vorbei-sickern", argumentiert List.

"Woher weiß Herr List das so genau?", rätselt der Nürnberger Geo-loge Otto Heimbucher, "Ist er schon mal mitgesickert?" Die Darchin-ger haben Heimbucher beauftragt, ihre Wasserschutzzone unter die Lupe zu nehmen. Sein Fazit: Das Grundwasser sei aufgrund "der ungesicherten Autobahn über den Sammelstollen generell nicht schützbar". Von wegen Wanne unterhalb der Autobahn, "die gibt es nicht, ich habe doch die Pläne gesehen". Das bestätigt auch die Autobahnmeisterei in Holzkirchen, die das Teilstück wartet. Zudem sei der Boden nicht so dicht, wie die Stadtwerke das gern hätten. Dreck von der Autobahn - Öl, Reifenabrieb oder Streusalz im Winter - könne sehr wohl in die Grundwasserstollen eindringen, warnt Heimbucher. Umso fragwürdiger die Verbote für die Darchinger. " Man darf die Leute nicht für dumm verkaufen ", meint der Geologe.
 
Tafel an der A 8   Autobahnbrücke
 
 


Bild oben:
Hier wird in vierzig Metern Tiefe Münchner Trinkwasser gefördert. Darüber: Die sechsspurige Autobahn München-Salzburg zwischen den Ausfahrten Holzkirchen und Weyarn



























Bild links: Laut Wasserschutzver-ordnung darf Elisabeth Duffner in ihrem Haus keinen Müll lagern.

Bild rechts:
Viele Darchinger fühlen sich wegen der Auflagen ihrer Freiheit beraubt.































































Bild links: Fast 100.000 Autos passieren Tag für Tag dieses Schild auf der Autobahn München-Salzburg.

Bild rechts: Lorenz Hilgenrainer, Vorstand des Vereins der Wasserschutz-zonengeschä-digten, unter der A 8.

Mit seinem Gutachten zogen 23 Darchinger Bürger vergangenen Herbst vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. Die Richter beeindruckten Heimbuchers Einwände wenig. Sie folgten den Gutachten der Stadtwerke München und wiesen die Klage zurück. Einen unabhängigen Gutachter bestellte das Gericht nicht, wie sonst in solchen Fällen durchaus üblich und auch ver-ständlich. In den Gutachten beider Parteien steht viel von "tertiären Sedimenten", "hochwürmglazialen Niederterrassenschotter" und "schluff-tonigem Verwitterungslehm" - wer blickt da schon durch? Die Darchinger leg-ten Berufung ein. Und kassierten vor dem Bundesverwaltungsge-richt in Leipzig noch eine Niederlage.

Für den Standpunkt der Stadtwerke spricht natürlich die Qualität des M-Wassers, die seit Jahrzehnten anerkanntermaßen gut ist. Nur: Warum dann die Auflagen für Darching? Rainer List von den Stadt-werken beschwichtigt. Natürlich könne jeder Darchinger Abfall in der Küche lagern und seinen Rasenmäher mit Benzin auffüllen. "Alles andere geht doch am Leben vorbei." Auch Veranstaltungen seien kein Problem, "das Pfingstfest haben wir ihnen doch genehmigt". Da-rin liegt ja der Haken. Dem Darchinger Landwirt Lorenz Hilgenrainer, Vorstand des hundert Mitglieder starken "Verein der Wasserschutz-zonengeschädigten", stinkt es gewaltig, dass zu jedern Fest, jedem Umbau und jeder Sperrmüllsammlung "die Stadtwerke München ihren Senf dazugeben". Es könne nicht angehen, dass "eine GmbH über unser Leben ent-scheidet".

In dieselbe Kerbe schlägt die Miesbacher Bürgermeisterin Ingrid Pon-gratz. In ihrer Gemeinde wollen die Stadtwerke ein Viertel der Fläche zur Wasserschutzzone erklären. "Wir sollen da keinen Gewerbebe-trieb mehr ansiedeln, also Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig legt sich München einen fetten Speckgürtel zu - mit unserem Wasser!" Die Bürgermeisterin graut davor, dass München "unser Wasser raus-pumpen und europaweit verkaufen" könnte, sobald alle Märkte libe-ralisiert sind. "Und bei uns sinkt der Grundwasserspiegel!"

Die Furcht geht um bei den Einheimischen, dass man ihnen ihr Eigen-tum sogar ganz wegnehmen könnte. Die Verordnung sieht "die Be-seitigung von Einrichtungen" explizit vor. In den sechziger Jahren wurde tatsächlich ein Dorf in der Gegend ausradiert, das alte Thal-ham im Mangfalltal. Die Darchinger hoffen nun auf eine weitere Klage. Das Gericht soll klären, ob die Stadtwerke überhaupt Rechte an dem Wasser im Mangfalltal besitzen. Oder es seit Ende des 19. Jahrhunderts illegal abzapfen.

Die Münchner Schulkinder könnten also einiges lernen am Beispiel Darching. Nicht nur übers M-Wasser. Auch darüber, was man 800 Dorfbewohnern zumuten darf, um 1,4 Millionen Menschen einer Großstadt sauberes Wasser zu sichern. Und über die Frage, was man heute eigentlich unter einem Idyll versteht: Der Betriebsleiter List von den Stadtwerken meint nämlich, die Darchinger "müssten uns dankbar sein, dass sie immer noch in einem Idyll leben". Schließlich verhindere dort der Wasserschutz, dass sich Gewerbe ansiedelt.

Als ob nicht jedes Kind wüsste, dass es sich vom Idyll allein nur mäßig lebt. Vor allem, wenn es direkt an der Autobahn liegt.

 
     
     
   

   

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